ABC-Etüden – Wolfsnacht


Zu den Etüden bei Christiane. Die Worte fielen diesmal aus dem Fundevogelnest und lauten Nieselregen, weich, irren.
300 Wörter, Textform und Genre egal.

Es ist Wolfsnacht. Seit Wochen haben sie und ihr Stamm sich darauf vorbereitet. Der Mond steht bereits am Himmel als sie ihr neues Kleid anzieht. Das Leder ist weich und zart wie eine zweite Haut. Ihre Finger streichen immer wieder darüber, nervös, unruhig.

Es ist ihre Nacht, seit sie denken kann wurde sie dafür unterrichtet, lernte die Techniken, bereitete sie sich darauf vor. Doch so unvorbereitet hate sie sich noch nie gefühlt.

Sie verlässt das Haus. Nieselregen benetzt ihre bloßen Arme. Sie fröstelt. Bald würde sie rennen, dann würde ihr warm werden.

Die Ältesten stehen bereit, als sie den Feuerkreis betritt. Sie schweigen und bedeuten ihr, sich zu setzen. Langsam drehen sie Beschwörungsformeln murmelnd, Kreise um sie, legen ihr Amulette um, berühren ihre Stirn, ihre Schultern. Die große Alte hockt sich vor sie und legt ihr die Bemalung an, drückt ihr bitter schmeckende Kräuter in den Mund. Sie würgt, doch dann kaut sie und schluckt.

Das Feuer wird heller und wärmer. Sie möchte aufstehen und zu den Trommeln, die in ihrem Kopf klingen, tanzen. Sie schaut empor und nimmt einen tiefen Atemzug. Plötzlich sind alle weg. Sie ist allein.

Sie steht auf und macht einige langsame Schritte. Sie beobachten sie. Einen Moment zögert sie. Dann rennt sie los. Laute, jubelnde Schreie klingen aus den Hütten wie ein Abschiedsgruß.

Der Mond ist verschwunden. Dunkle Wolken verdecken ihn und der Regen ist stärker geworden. Sie rennt geradeaus und irrt doch umher. In ihrem Kopf dreht sich alles. Es wird immer kälter. Außer Sichtweite des Dorfes bleibt sie stehen und hockt sich an einen Baum.

Als sie am nächsten Morgen gefunden wird, hockt ein Rabe auf ihrem rechten Knie. Die große Alte schließt, was von ihren Augen noch übrig ist.

Die Ernte wird schlecht werden in diesem Jahr.

Alice

7 Kommentare Gib deinen ab

  1. Christiane sagt:

    Mich lässt die Geschichte unzufrieden zurück. Ich wüsste gern, was passiert ist und warum. Nein, du musst das Geheimnis nicht verraten, das ist ja die Kunst, aber wo ist der Hinweis?
    Spannend.

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    1. 300 Worte sind so verflixt knapp… es reicht bei mir oft nur für einen Aufriss, wenn ich nicht alle Adjektive über Bord schmeißen will 🙂 Versuche es zwischen den Zeilen zu ergründen, was der jungen Frau passierte, was ihre Aufgabe war. Und wenn du zu einem anderen Schluss kommst als ich, ist das dein Fazit… und so muss es doch sein, oder? Liebe Grüße

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      1. Christiane sagt:

        Das ist die Kunst, aber wem sag ich das. Klar schreiben wir alle die Geschichten im Kopf weiter, aber sie so zu verdichten, dass sie alles sagen, ohne zu viel zu verraten … 😉

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      2. Das ist die Kunst, da gebe ich dir recht. Es ist manchmal (oder oft) so, dass für mich alles klar ist, aber für den Leser nicht. Ich hab ja meinen Film in meinem Kopf und beschreibe, was ich sehe. Dass manchmal was fehlt, damit es verständlicher wird, es tut mir leid. Ich arbeite daran. Normalerweise lese ich die Geschichten vorher meinem Mann vor, dann höre ich die Haken, aber er ist gerade spielen 🙂 Liebe Grüße, Alice

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  2. Soweit ich weiß, nennt man die Wolfsnächte auch Rauhnächte. Der Volksmund sagt, das in der Zeit der Rauhnächte Kontakt zu den Ahnen hergestellt werden und das kommende Jahr beeinflusst werden kann, z.B. für eine gute Ernte.
    Das ist wohl in diesem Falle schief gegangen.

    Info zu Rauhnächten:
    http://ayurveda-leben.at/de/raeuchern-anleitung-kraeuter-rauhnaechte-ritual/

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    1. Sorry, war gestern Abend zu spät für eine qualifizierte Antwort. Ich hatte das nicht im Kopf – zumindest nicht bewusst. Klar kenne ich die Raunächte und ihre Bedeutung für das nächste Jahr. Ein guter Blickwinkel, danke Werner 😊

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