Das Jetzt-Ich und das Zukunfts-Ich

Ein modernes Märchen

Es war einmal ein kleines Jetzt-Ich, das lebte in einer kleinen Stadt in einem kleinen Haus in einer kleinen Straße. Es hatte eine kleine Familie, einen kleinen Job und ein kleines bisschen Geld. Das Jetzt-Ich hatte eine Menge kleiner Probleme. Es war ein bisschen zu dick, mochte seinen Job nicht wirklich, trank ein bisschen zu viel, rauchte ein bisschen zu viel und stritt sich dann ein bisschen mit der kleinen Familie.

Es war unzufrieden mit dem, was war, wusste sehr wohl, dass es besser sein könnte, es zufriedener sein könnte, wenn es ein bisschen was verändern würde.

Jeden Morgen sagte es sich, dass dies nun der Tag sei. Weniger Zigaretten, weniger Wein, weniger Schokolade und vor allem wollte es an seinem Traum arbeiten, an seiner Profession. Doch spätestens mittags war die erste Tafel Schokolade verdrückt, die halbe Packung Zigaretten leer und es hatte noch keinen Handschlag getan für den großen Traum. Dadurch ging es ihm immer ein bisschen schlechter. Doch voller Mut verschob es all die Änderungen auf den nächsten Tag.

Eines Tages, als es seinen kleinen Einkauf tätigte, traf es am Gemüsestand, wo es normalerweise nicht stehen blieb, ein Wesen, das ihm seltsam bekannt vorkam. Die Nase war vertraut, auch die Augen kannte es aus dem Spiegel, doch der Rest war ganz anders.

„Hallo“, stellte sich das Wesen vor, „Ich bin dein Zukunfts-Ich!“, und packte ein paar Orangen in den Einkaufskorb. „Nett, dich einmal zu treffen!“

„Du bist also ich?“

„Naja, nicht ganz, wie du siehst. Ich bin die, die du sein könntest.“

Und das Jetzt-ich sah einmal ganz genau hin. Dieses Zukunfts-Ich hatte in etwa sein Gesicht, doch es hatte die Figur, die es sich wünschte, den Haarschnitt, von dem es träumte und die schicke Kleidung, die es so gerne getragen hätte. Es sah erfolgreich und gesund aus, dieses Wesen und ziemlich glücklich.

„Ich kann also so sein wie du?“

„Klar kannst du das. Du musst nur einmal deine guten Vorsätze durchhalten, dann ist der Rest gar kein Problem.“

Das Jetzt-Ich lächelte voller Vorfreude und nickte begeistert.

**** Alternatives Ende 1 ***

Es zückte das Handy und machte ein Foto vom Zukunfts-Ich. Dann verabschiedete es sich höflich und ging an diesem Tag einen anderen Weg durch den Supermarkt. Es kaufte gesunde Lebensmittel, ein paar Turnschuhe für eine Portion Sport, keine Zigaretten, keinen Wein. Und am nächsten Morgen schaute es sich das Bild vom Zukunfts-Ich an und das motivierte es, seine Pläne durchzuziehen. Es aß gesünder, trieb ein bisschen Sport und setzte sich jeden Tag ein bisschen an die Erfüllung seiner Träume. Nach einem Jahr etwa war es da angekommen, wo es hinwollte. Und wenn es nicht gestorben ist, dann freut es sich noch heute.

***Alternatives Ende 2 – die Realität ***

Für einen Moment malte sich das kleine Jetzt-Ich aus, was alles passieren könnte, wenn es morgen ganz bestimmt mit den Veränderungen beginnen würde. Es verabschiedete sich höflich und machte ganz in Gedanken seine gewohnte Einkaufsrunde. Und während es sich abends auf dem Sofa einen Wein einschüttete und eine Zigarette ansteckte, dachte es „Morgen ganz bestimmt!“

Alice

13 Kommentare Gib deinen ab

  1. Nati sagt:

    ******Alternatives Ende 3 ******

    Das Zukunfts-Ich ließ nicht locker und lief dem Jetzt-Ich hinterher.
    „Überlege dir zu allererst was und warum dich so manches unzufrieden macht, dass du die Zigaretten, den Wein und die Schokolade so sehr benötigst. Wenn du sie nach und nach durch andere schöne Dinge ersetzen kannst, bist du deinem Ziel schon näher.“
    Das Jetzt-Ich ging mit leeren Einkaufswagen durch die Kasse und machte zu Hause eine Liste….

    😉

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    1. Super… das mag ich auch 🙂 Danke dir

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      1. Nati sagt:

        Gerne 😊

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  2. ideenlese sagt:

    Für dich, liebe Alice! Schau mal.

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      1. Nati sagt:

        Auf ihren Blog. 😉

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      2. 🙈🙈🙈 ich habe gedacht, wp hätte den link gefressen. Danke dir

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      3. Nati sagt:

        Dachte ich auch erst…,grins…

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  3. evawso sagt:

    Wo hast du denn mein Zukunfts-Ich getroffen. Schick mir doch mal ein Foto. ;-). Eine schöne Geschichte. Wünsche dir ein gutes neues Jahr. LG eva

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    1. Ach, du hast auch eins, das du schon länger nicht mehr gesehen hast? Viel Erfolg bei der Suche und Spaß beim Wiederentdecken.
      Liebe Grüße
      Alice

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  4. Raphael sagt:

    … das kleine Ich verzehrt sich
    in seinem Unfrieden
    und ergibt sich in der Not den Ersatzbefriedigungen.
    Es weiß bewußt oder unterbewußt,
    daß sie, die Ersatzbefriedigungen nicht tragen
    und
    sehnt weiter …
    – weil das Sprengen der Ketten
    verboten gar und dem kleinen Ich eingeredet wurde,
    daß es zu schwach sei.
    So bleibt es gefangen
    und die „Ersatz-Blink-Blinks“ vermitteln dem kleinen Ich,
    daß es doch gar kein Sklave sei oder sein kann.

    Sind wir, mal so hypothetisch, im Frieden (dem wahren),
    dann merken wir auf einmal,
    daß wir die Ersatzbefriedigungen dieser Welt gar nicht brauchen.

    Liebe Alice,
    dann sind wir in diesem Zustand
    des „Nicht-mehr-Müssen-müssens“,
    zusammen mit der Freiheit,
    eben alles haben zu können,
    es jedoch nicht mehr zu brauchen …

    Alles Liebe dir,
    auf den Weg hin zur Freiheit,
    Raffa.

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    1. Lieber Raffa, du hast es genau erfasst. Alles haben können, aber nicht mehr brauchen. Den Ersatz, den will man doch nur, wenn das, was man hat, nicht zufrieden, nicht satt macht. Nicht mehr müssen – das ist der Zustand, den das kleine Jetzt-Ich anstrebt, einfach sein und erlauben, dass die Welt ihm auch mal den Buckel runterrutscht.
      Alles Liebe dir
      Alice

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