ABC-Etüde – Wettrennen

Zu den Etüden bei Christiane. Die Wortspende kommt von Ludwig Zeidler.

Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen. Das Stirnband lag noch in ihrer Tasche im Spind am Start. Typisch für sie, dass sie alles vergisst und durcheinanderbringt, wenn etwas Unvorhersehbares geschieht. Und dass ihr Ex am Start auftauchen und gegen sie antreten würde, das hatte sie nicht erwartet.

Sie war gut rausgekommen, hatte sich eingefunden in die zweite Spitzengruppe, die in etwa ihr Tempo lief. Hier konnte sie bleiben für die nächsten 30 km, wenn nichts dazwischen kam. Erst dann würde sie den Angriff starten und erfahren, ob ihr Training erfolgreich war.

Ihre Muskeln waren warm und sie lief mit gleichmäßigen ausgreifenden Schritten. Die Luft war weich und sauber und wäre da nicht dieses Ärgernis in der Gruppe hinter ihr, sie hätte sich wunderbar gefühlt. Doch jetzt fütterten die Augen in ihrem Rücken ihre schlechte Laune. Er hatte dagestanden und gegrinst, als sie sich die Nummer am Top befestigte, hatte ihr zugezwinkert, als sich ihre Augen am Start kurz trafen. Es war wie früher, als sie noch gemeinsam gelaufen waren und doch anders.

Damals hatte er sie besiegt. Und etwas später auch noch, als er fremdlief und sie zurückließ mit zerbrochener Seele.

Sie lief und ließ die letzten eineinhalb Jahre, an sich vorbeiziehen. Und an jedem Baum, jedem Stein, jedem Busch trug sie eine der Erinnerungen zu Grabe, ließ sie zurück und spürte, wie sie sich freirannte.

Sie gab etwas früher Gas, als sie geplant hatte. Der Boden flog unter ihr vorbei und sie erreichte ohne Schwierigkeiten die Spitzengruppe. Beim letzten Sprint aktivierte sie alle Reserven und zog unter dem Jubel der Zuschauer an allen Konkurrentinnen vorbei.

Als sie schweratmend hinter der Ziellinie stand und die Gratulationen entgegennahm, lief ihr Exfreund ein.

Fluchtsieger, fragte er und grinste. Wenn du wüsstest, dachte sie.

Alice

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