Nachtrag zu Tag 87/365

Es fiel mir erst auf, als ich in der Küche stand und den Sauerteig dehnte und faltete. Diese Szene aus der Küche meiner Kindheit. Die Mutter aufgelöst in einer Panikattacke nachdem der Vater wieder schreiend und tobend durchs Zimmer gerannt war und meine kleine Welt wieder am Untergang stand.

Andere Kinder wünschen sich, dass ihre Eltern zusammenbleiben, um jeden Preis. Ich wünschte mir das Gegenteil, hätte lieber heute als morgen die Koffer gepackt und wäre ausgezogen. Ich war acht, nicht achtzehn und das Wissen um diese lange Zeitspanne hat mir Angst gemacht.

Ich drängte in diesem Gespräch auf Auszug, doch davon wollte die Mutter nichts wissen. Sie bliebe, damit ich ein schönes Haus und einen großen Garten hätte. Wie viel lieber hätte ich mich in Frieden auf 50 qm ausgelebt.

Also war ich schuld. Nicht meine Mutter, die uns nicht beschützte und die aus Angst vor einem eigenen Leben in dieser unseligen Beziehung blieb. Nicht der Vater, der Angst machte vor seinem nächsten ungerechten Ausbruch. Ich, ich war bereit, die Verantwortung zu übernehmen und sie zu schützen. Doch wegen mir blieb sie. Ich war schuldig durch meine bloße Anwesenheit.

Als ich zehn Jahre später überstürzt heiratete, war sie sofort weg, verschwand aus der Stadt zu einem besseren Leben.

Zurück blieb ich, voller Schuldgefühle, dass sie erst jetzt glücklich werden würde.

Ich versuchte, das gerade zu biegen, übernahm unmögliche Aufgaben, holte mir ein Sorgenkind nach dem anderen unter meine Fittiche, um die Schuld abzutragen, es irgendwann zu schaffen. Doch das Gefühl blieb weil ich scheitern musste, nur Scheitern konnte.

Der nächste Schritt ist getan. Das Problem liegt glatt und sauber vor mir. Nun möchte ich mir klar machen, dass ich niemals schuldig war und diese Last endlich hinter mir lassen. Es ist noch ein weiter Weg.

Alice

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6 Kommentare Gib deinen ab

  1. dieterkayser sagt:

    Ich denke Du bist auf dem richtigen Weg

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    1. Danke dir🙏🍀 ja, wird Zeit, dass es besser wird…

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  2. Verwandlerin sagt:

    Unglaublich, was manche Mütter für Argumentationen haben. Bequem.

    Gefällt 2 Personen

    1. Sie hat ihr eigenes Trauma. Doch sowas kann man reflektieren, oder?

      Gefällt 1 Person

      1. Verwandlerin sagt:

        Naja, mit dem Reflektieren haben es die Traumatisierten nicht so oder arbeiten sich oft ihr ganzes Leben dran ab. Wie du … Ich verstehe deine Mutter nach dieser Info jedenfalls besser …

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